RechtsprechungVergaberecht

Indikative Angebote dürfen von einzelnen Vergabeunterlagen abweichen (BayObLG, 03.06.2022, Verg 7/22)

Eine öffentliche Auftraggeberin vergab in einem europaweiten Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb die Lizenzierung und Implementierung einer Software zur Therapieplanung in ihren Klinken. Nach Durchführung des Teilnahmewettbewerbs und einer Verhandlungsrunde gaben zwei Bieter finale Angebot ab. Der Bieter mit dem wirtschaftlichsten Angebot sollte den Zuschlag erhalten. Daraufhin rügte die unterlegene Bieterin u.a., dass bereits das indikative Angebot wegen Abweichens von den Vergabeunterlagen auszuschließen sei. Außerdem erfülle die Software des anderen Bieters nicht alle Kriterien der Leistungsbeschreibung, insbesondere weil die Software bereits 17 Jahre alt sei. Nach erfolgloser Rüge stellte die Bieterin einen Nachprüfungsantrag. Die Vergabekammer wies den Antrag mit der Begründung, dass es sich um bloße Behauptungen ins Blaue handle, zurück. Gegen diese Entscheidung legte die Bieterin sofortige Beschwerde ein.

Das Bayrische Oberste Landesgericht wies die sofortige Beschwerde als unbegründet zurück, da das Angebot nicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen war. Denn Auftraggeber dürfen ein Verhandlungsverfahren so gestalten, dass Abweichungen der indikativen Angebote von einzelnen Vergabeunterlagen erlaubt sind, soweit es sich nicht um Mindestanforderungen handelt und Abweichungen vom gewünschten Angebotsinhalt unter Umständen in nachfolgenden Angebotsrunden beseitigt werden können. Dies gilt allerdings nicht für finale Angebote, über die nach § 17 Abs. 10 S. 1 VgV nicht weiter verhandelt werden darf.

Der Vergabesenat entschied zudem, dass auch das letztverbindliche Angebot des Bieters nicht wegen Nichterfüllung der Kriterien der Leistungsbeschreibung auszuschließen sei. Denn der Bieter gab in seinem finalen Angebot an, dass er die geforderten Kriterien erfülle. Ein Auftraggeber darf sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf das Leistungsversprechen des Bieters verlassen. Zudem lagen keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Angaben des Bieters zweifelhaft waren und einer Überprüfung bedurften.

Insbesondere lasse allein das Alter der Software keine Rückschlüsse auf die Qualität zu, sofern die Software stets gepflegt und weiterentwickelt werde. Vielmehr legte der Bieter dar, dass das Programm bereits seit 17 Jahren erfolgreich genutzt und permanent gepflegt und optimiert werde. Ein Qualitätsmangel aufgrund des hohen Alters der Software lag daher nicht vor, so das Gericht.