Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb europaweit im öffentlichen Verfahren nach Maßgabe der VgV die Lieferung von ballistischen Unterziehwesten für die Polizei aus. Ein Bieter stellte einen Nachprüfungsantrag, da sein Produkt trotz Wertungsfähigkeit nicht berücksichtigt wurde. Daraufhin empfahl die Vergabekammer dem Auftraggeber dem Nachprüfungsantrag selbst abzuhelfen, indem das Verfahren in den Stand vor Angebotsbewertung zurückversetzt und alle wertungsfähigen Angebote einbezogen werden. Der Auftraggeber teilte daraufhin mit, dass das Vergabeverfahren nach § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 VgV wegen schwerwiegender Gründe aufgehoben wurde. Der Bieter rügte die Aufhebung und stellte einen Nachprüfungsantrag.
Die Vergabekammer entschied, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens ermessensfehlerhaft erfolgte, weil der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gem. § 97 Abs. 1 S. 2 GWB nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Zwar ist der Auftraggeber gem. § 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV grundsätzlich dazu berechtigt, ein Vergabeverfahren aufzuheben, wenn „andere schwerwiegende Gründe“ vorliegen. Dabei handelt es sich aber um einen Ausnahmefall, der eng auszulegen ist. Auftraggeber dürfen ein laufendes Vergabeverfahren hiernach nicht leichtfertig aufheben. Dem steht der Vertrauensschutz der Bieter entgegen. Für das Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes bedarf es daher einer umfassenden Interessenabwägung der jeweiligen Verhältnisse im Einzelfall.
Hier hob der Auftraggeber erst nach Angebotsabgabe das Vergabeverfahren auf. Daher musste er den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders berücksichtigen. Demnach ist eine Aufhebung nur gerechtfertigt, wenn die Vergabeunterlagen deutlich zu überarbeiten sind und eine Zurückversetzung der Aufhebung gleichkommt. Das war hier nicht der Fall, so dass die Aufhebung rechtswidrig war. Dies führte dennoch nicht zu einer Verpflichtung des Auftraggebers, die Aufhebung aufzuheben und die alte Wertung fortzusetzen. Vielmehr darf das neue Vergabeverfahren fortgesetzt werden, so die Vergabekammer.