Verlangt ein öffentlicher Auftraggeber den Nachweis einer geschlossenen Lieferkette in der EU, dem GPA oder der Freihandelszone, so verletzt er drittschützende Bestimmungen über das Vergabeverfahren.
In einem EU-weiten offenen Verfahren vergab die Auftraggeberin gemeinsam mit zehn weiteren Auftraggeberinnen Rabattverträge für Arzneimittel in mehreren Losen. Für einige Fachlose war als qualitatives Zuschlagskriterium die Berücksichtigung von umweltbezogenen und sozialen Aspekten in Form von Wirtschaftlichkeitsboni vorgesehen. Hierfür mussten die Bieter eine vollständig geschlossene Lieferkette in der EU, dem GPA oder der Freihandelszone nachweisen. Für ein Fachlos hielt ein Bieter mit Produktionsstandort in Indien dieses Zuschlagskriterium für vergaberechtswidrig und ging mit einem Nachprüfungsantrag hiergegen vor. Weitere Bieter anderer Fachlose schlossen sich dieser Ansicht an und gingen ebenfalls mit Nachprüfungsanträgen hiergegen vor.
Die Vergabekammer entschied zugunsten des Bieters. Das Zuschlagskriterium der „geschlossenen EU-Lieferkette“ weise weder die geforderte Auftragsbezogenheit im Sinne des § 127 Abs. 3 GWB auf noch sei es zur Sicherstellung einer willkürfreien Zuschlagserteilung gemäß § 127 Abs. 4 GWB geeignet. Zudem verstoße es gegen den in § 97 Abs. 2 GWB normierten allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer legte die Auftraggeberin sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein. Im gegenständlichen Verfahren sowie in den Parallelverfahren (OLG Düsseldorf, 01.12.2021, VII – Verg 53/20 und 55/20) blieb die Beschwerde ohne Erfolg. Der Senat entschied zugunsten der Bieter.
Denn: Die Gewährung eines Wirtschaftlichkeitsbonus für den Nachweis einer geschlossenen Lieferkette verstößt jedenfalls gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 97 Abs. 2 GWB und das Erfordernis objektiver Zuschlagskriterien nach 127 Abs. 4 GWB. Einen Verstoß gegen den Grundsatz der Auftragsbezogenheit von Zuschlagskriterien nach § 127 Abs. 3 GWB lässt der Senat offen.
Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 97 Abs. 2 GWB
Der Senat führt aus, „eine Differenzierung nach Herkunftsstaaten, bei denen Bieter, die in bestimmten Herkunftsstaaten produzieren, einen Wirtschaftlichkeitsbonus erhalten, der anderen Bietern allein wegen ihrer Fertigung in einem nicht privilegierten Staat vorenthalten wird, [begegnet] grundlegenden Bedenken“.
Weder das GWB noch europäische Richtlinien würden eine derartige Ungleichbehandlung rechtfertigen:
„Art. 25 der Richtlinie 2014/24/EU … beinhaltet lediglich ein Diskriminierungsverbot in Bezug auf Bieter aus den GPA Unterzeichnerstaaten und aus der Freihandelszone der Europäischen Union, ein Recht zur Ungleichbehandlung von Bietern aus Drittstaaten gewährt er nicht“,
so der Senat weiter. Das EU-Vergaberecht kenne keine generellen geographischen Einschränkungen für die Beteiligung an Vergabeverfahren, sodass öffentliche Auftraggeber „soweit und solange eine gesetzliche Normierung einer Zugangsbeschränkung nicht erfolgt ist“ Bieter aus Drittstaaten nicht allein wegen ihrer Herkunft ausschließen können – hinsichtlich der Verweigerung eines Wirtschaftlichkeitsbonus für Bieter mit Produktionsstätten in Drittstaaten gelte nichts anderes.
Eine Ungleichbehandlung ließe sich schließlich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass es zur Erreichung legitimer Ziele wie der Einhaltung europäischer Umwelt- und Sozialstandards oder der Erhöhung der Versorgungssicherheit diene. Der Senat beton zwar, dass die Auftraggeber im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben grundsätzlich frei seien bei der Definition der Zuschlagskriterien. Doch sei eine Ungleichbehandlung durch dieses Zuschlagskriterium allenfalls dann gerechtfertigt, wenn es zu Erreichung des angestrebten Ziels geeignet sei und keine milderen Mittel zur Zielerreichung zur Verfügung stehen. Hierzu merkte der Senat jedoch an:
„Diesen Anforderungen genügt das undifferenziert … privilegierende Lieferkettenkriterium nicht … [Dies] würde voraussetzen, dass bei der Produktion in den vorgenannten Staaten die [Erreichung der Ziele] … in höherem Maße gewährleistet wäre, als bei einer Herstellung in … Drittstaaten wie Indien oder China.“
Verstoß gegen das Gebot objektiver Zuschlagskriterien aus § 127 Abs. 4 GWB
Eine Differenzierung nach Produktionsstaaten entspreche schließlich nicht dem Gebot objektiver Zuschlagskriterien und tauge nicht zur Gewährleistung objektiver Umwelt- und Sozialstandards. Als Begründung führt der Senat die Heterogenität der Staatengruppen an. So sei etwa nicht ersichtlich, dass eine Vielzahl der privilegierten Staaten vergleichbare oder überhaupt Umweltstandards aufweise wie die Mitgliedsstaaten der EU:
„Vor diesem Hintergrund den GPA-Unterzeichnerstaaten und den Staaten der Freihandelszone der Europäischen Union im Rahmen einer „typisierenden Betrachtung“ gleichwohl die Einhaltung mit den in der Europäischen Union vergleichbare Umwelt- und Sozialstandards zu attestieren, würde dem Erfordernis eines objektiven Zuschlagskriteriums zur Vermeidung willkürlicher Zuschlagsentscheidung nicht gerecht.“