RechtsprechungVergaberecht

Grundsatzentscheidung: Angebote müssen eigenständig und unabhängig sein! (EuGH, 15.09.2022, C-416/21)

In seiner jüngsten Entscheidung setzte sich der Europäische Gerichtshof mit der Frage des Ausschlusses von Angeboten zweier miteinander verbundener Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bildeten, auseinander.

Das Ausgangsverfahren betraf ein offenes Verfahren zur Vergabe von Busverkehrsdienstleistungen (BayObLG, 24.06.2021, Verg 2/21). Ein Bieter reichte ein Angebot in seiner Eigenschaft als eingetragener Einzelkaufmann ein. Ein zweites Angebot lautete auf eine GmbH, deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter dieser Kaufmann war. Der Auftraggeber schloss beide Angebote aus, da sie von der gleichen Person stammen und dies einen Verstoß gegen Wettbewerbsregeln darstelle. Nach erfolgloser Rüge stellte der Bieter einen Nachprüfungsantrag. Die Vergabekammer entschied, dass die zwei Angebote wieder in das Vergabeverfahren aufzunehmen sind. Der Auftraggeber legte gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde ein. Das BayObLG setzte das Verfahren aus legte dem EuGH mehrere entscheidungserhebliche Fragen zur Auslegung des Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU zur Vorabentscheidung vor. Denn nach Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 d dieser Richtlinie können Bieter vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, wenn der Auftraggeber hinreichend plausible Anhaltspunkte darüber besitzt, dass der Wirtschaftsteilnehmer mit anderen Wirtschaftsteilnehmern Vereinbarungen getroffen hat, die auf eine Wettbewerbsverzerrung abzielen.

Der EuGH erklärte zunächst, dass der fakultative Ausschlussgrund der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung (Art. 57 Abs. 4 lit. d der Richtlinie 2014/24/EU) Situationen erfasst, in denen hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Wirtschaftsteilnehmer gegen Art. 101 AEUV verstoßen haben. Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU verweist daher auf Fälle, in denen Wirtschaftsteilnehmer eine wettbewerbswidrige Vereinbarung gleich welcher Art schließen.

Weiterhin führte der Gerichtshof aus, dass die Ausschlussgründe in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU abschließend seien. Das bedeutet aber nicht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Vergabe eines Auftrags an Wirtschaftsteilnehmer, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und deren Angebote weder eigenständig noch unabhängig sind, nicht entgegenstehen könne. Vielmehr sind Vergabestellen dazu verpflichtet, eine Prüfung und Würdigung der Tatsachen vorzunehmen, um zu bestimmen, ob das Verhältnis zwischen zwei Einheiten den Inhalt der abgegebenen Angebote konkret beeinflusst habe. Ausreichend ist jeder wie auch immer gearteter Einfluss, um die Bieter von dem Vergabeverfahren auszuschließen. Kann also festgestellt werden, dass die Verbindung zwischen den Bietern den Angebotsinhalt beeinflusst hat, so darf die Vergabestelle die Angebote nicht mehr berücksichtigen. Denn Angebote müssen eigenständig und unabhängig abgegeben werden, wenn sie von miteinander verbunden Bietern stammen. Dies gelte erst recht für Bieter, die nicht nur miteinander verbunden sind, sondern – wie hier – eine wirtschaftliche Einheit bilden.

Der Gerichtshof verwies die Sache zurück an das BayObLG, welches nun zu prüfen hat, ob die zwei Angebote eigenständig und unabhängig abgegeben wurden.