RechtsprechungVergaberecht

Nur ein gerügter Vergaberechtsverstoß darf berücksichtigt werden (KG, 10.05.2022, Verg 2/21)

Ein öffentlicher Auftraggeber vergab in einem EU-weiten offenen Verfahren Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte. Aus der Leistungsbeschreibung ergab sich, dass der Objektleiter einen Berufsabschluss zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit, zur geprüften Schutz- und Sicherheitskraft oder einen höherwertigen Abschluss besitzen muss. Ein Bieter gab in seinem Angebot an, dass der Objektleiter über einen Ausbildungsabschluss als „Servicekraft für Schutz und Sicherheit“ verfügt. Der Auftraggeber schloss dieses Angebot mit der Begründung aus, dass der eingereichte Ausbildungsnachweis nicht den Anforderungen der Leistungsbeschreibung entspreche. Der Bieter rügte den Ausschluss erfolglos und stellte anschließend einen Nachprüfungsantrag. Die Vergabekammer entschied, dass der Ausschluss vergaberechtswidrig war, da der Auftraggeber gegen § 46 Abs. 3 VgV verstoßen habe. Ein anderer Bieter, der den Zuschlag erhalten sollte, legte sofortige Beschwerde gegen diese Entscheidung ein.

Das Kammergericht entschied, dass bereits die Prüfung der Voraussetzungen des § 46 Abs. 3 VgV durch die Vergabekammer verfahrensfehlerhaft war. Denn der im Nachprüfungsverfahren gewährte Rechtsschutz besteht lediglich rügebezogen, so dass Rechtsverletzungen durch den Antragsteller konkret zu benennen sind. Es ist den Nachprüfungsinstanzen daher verwehrt, nicht gerügte Rechtsverletzungen von Amts wegen in das Verfahren einzuführen. Vor Einreichung des Nachprüfungsantrags bei der Vergabekammer hatte der Bieter zuvor jedoch keinen Verstoß gegen § 46 Abs. 3 VgV geltend gemacht, so dass die Vergabekammer den Verstoß nicht von sich aus berücksichtigen durfte. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur für schwerwiegende und offenkundige Vergaberechtsverstöße (OLG Roststock, 31.09.2021, 17 Verg 3/21; OLG Düsseldorf, 20.07.2015, VII-Verg 37/15). Ein solcher Ausnahmefall lag hier aber nicht vor.

Die Rüge war nach Auffassung des Vergabesenats aber trotzdem zu berücksichtigen, da sie der Bieter erstmals im Beschwerdeverfahren erhob. Diese Rüge sei auch zulässig, da sie nicht verspätet erfolgt sei. Denn der Bieter habe von der Möglichkeit eines Rechtsverstoßes erst aus der Entscheidung der Vergabekammer erfahren, so das Kammergericht. Es stellte jedoch fest, dass die in der Auftragsbekanntmachung geforderten Nachweise für den Objektleiter keinen Verstoß gegen § 46 Abs. 3 VgV darstellen. Vielmehr durfte ein Nachweis einer beruflichen Mindestqualifikation des Objektleiters nach § 46 Abs. 3 Nr. 2 VgV gefordert werden.

Der Nachprüfungsantrag hatte aber aus einem anderen Grund Erfolg: Denn maßgeblich für die Eignungsprüfung sind nach § 57 Abs. 1 VgV alleine die in der Auftragsbekanntmachung festgelegten Eignungskriterien und die dort geforderten Nachweise. Daher dürfen Auftraggeber nur das fordern, was sich aus den Vergabeunterlagen nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 157 BGB) aus Bietersicht ergibt. Hier durfte der Bieter davon ausgehen, dass der eingereichte Nachweis als „Servicekraft für Schutz und Sicherheit“ aufgrund seiner Höherwertigkeit gegenüber dem geforderten Abschluss als „geprüfte Schutz- und Sicherheitskraft“ die Eignungsanforderungen erfülle. Der Ausschluss des Bieters war im Ergebnis dennoch unzulässig, so das Kammergericht.