RechtsprechungVergaberecht

Sind Postdienstleistungen besondere Dienstleistungen nach Anhang XIV der RL 2014/24/EU?

Mit der Richtlinie 2014/24/EU gab der EU-Gesetzgeber die bisherige Unterscheidung zwischen prioritären und nichtprioritären Dienstleistungen auf. Nunmehr unterscheidet das Vergaberecht zwischen herkömmlichen Dienstleistungen, für die das gesamte Vergaberecht gilt und „sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen, für die insbesondere folgende Sonderregeln gelten:

  • Schwellenwert von 750.000 Euro netto
  • Freie Verfahrenswahl nach § 130 GWB mit Ausnahme des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb
  • Begründungsfreie Vertragsänderungen bis 20 % des Nettoauftragswerts, max. jedoch 750.000 Euro netto
  • Vertragslaufzeit bis sechs Jahre
  • Wertung bisheriger Erfolge nach § 65 VgV erlaubt.

Im Ergebnis hat der öffentliche Auftraggeber hiernach also deutlich mehr Freiräume im Vergabeverfahren.

Welche Dienstleistungen unter diese Sonderregeln fallen, ergibt sich aus Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU. Dort genannt sind auch folgende Postdienste:

  • 64000000-6 (Post- und Fernmeldedienste)
  • 64100000-7 (Post- und Kurierdienste)
  • 64110000-0 (Postdienste)
  • 64111000-7 (Postdienste im Zusammenhang mit Zeitungen und Zeitschriften)
  • 64112000-4 (Briefpostdienste)
  • 64113000-1 (Paketpostdienste)
  • 64114000-8 (Post-Schalterdienste)
  • 64115000-5 (Vermietung von Postfächern)
  • 64116000-2 (Dienste im Zusammenhang mit postlagernden Sendungen) und
  • 64122000-7 (Interne Bürobotendienste)

Das führte bei einigen öffentlichen Auftraggebern zu der Annahme, dass Postdienstleistungen als besondere Dienstleistungen generell dem Sonderregime des Anhangs XIV unterliegen. So sah es auch die VK Sachsen, wenngleich sie ihre Feststellungen nicht näher begründete. In ihrem Beschluss vom 23.11.2016 (1/SVK/026-16) hießt es hierzu lediglich:

„Es handelt sich bei dem Auftragsgegenstand um eine besondere Dienstleistung im Sinne des § 130 Abs. 1 GWB i. V. m. Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU. Die Einordnung der nachgefragten Leistung als „Briefpostdienste“ (CPV-Code 64112000, Los 1) und „Paketpostdienste“ (CPV-Code 64113000, Los 2) war zutreffend.“

Anhang XIV – nur wenn alle Dienstleistungen erfasst sind

Auf die Frage, ob sämtliche zu vergebenden Dienstleistungen in Anhang XIV genannt sein müssen, damit das Sonderregime und seine Privilegierungen für Auftraggeber eingreifen, ging die VK Sachsen nicht ein. Genau dies fordert aber die 2. Vergabekammer des Bundes (01.08.2017, VK 2-72/17; 02.08.2017, VK 2-74/17; 27.09.2017, VK 2-100/17 und 102/17).

„Das Sonderregime des § 130 GWB, Art. 74 RL2014/24/EU greift jedoch nur dann, sofern die auszuschreibenden Leistungen neben  „Post- bzw. Briefdiensten“ nicht auch Leistungen umfassen, die im Anhang nicht genannt sind. Dies ist hier aber der Fall, da maßgeblicher Teil der Leistungserbringung
die Postzustellung (CPV 64121100-1) und die Postbeförderung auf der Straße (CPV 60160000-7) ist, die wiederum nicht über § 130 GWB und den Anhang XIV für die vergaberechtliche Privilegierung in Bezug genommen werden.“

Danach gilt Anhang XIV in den „klassischen“ Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber praktisch  nie. Denn die klassische Briefbeförderung bzw. Zustellung „auf der letzten Meile“ fällt nicht unter das Sonderregime.

Höchstrichterlich geklärt wurde die Frage bis heute nicht. Angesichts der überzeugenden Herleitung der VK Bund in ihren vier Entscheidungen, die zudem zeitlich nach der Entscheidung der VK Sachsen ergingen, sind öffentliche Auftraggeber aber gut beraten, die von ihnen zu vergebenden Postdienstleistungen als „klassische“ Diensleistungen zu behandeln und das gesamte Vergaberecht ohne die Privilegierungen der §§ 130 GWB, 64 ff. VgV anzuwenden.