RechtsprechungVergaberecht

Wie lang darf die Bindefrist sein? (VK Südbayern, 05.08.2022, 3194.Z3-3_01-22-29)

Ein öffentlicher Auftraggeber vergab in einem EU-weiten offenen Verfahren einen Bauauftrag über Holzbauarbeiten. Die Angebotsfrist lief bis zum 22.06.2022. Die Bindefrist des Angebots war bis zum 07.11.2022 festgelegt, also 138 Tage lang. Ein Bieter rügte die Bindefrist als zu lang. Die Bindefrist dürfe nur in begründeten Fällen über die gesetzlich vorgesehenen 60 Tage hinaus verlängert werden. Der Auftraggeber begründete die verlängerte Frist damit, dass der Beschlussturnus einer Kommune keine schnellere Vergabeentscheidung zulasse. Nach erfolgloser Rüge stellte der Bieter einen Nachprüfungsantrag – mit Erfolg!

Die Vergabekammer entschied, dass der Auftraggeber seinen Ermessensspielraum hinsichtlich der Länge der Bindefrist überschritten hat. Denn der Auftraggeber berücksichtigte die Interessen der Bieter an einer möglichst kurzen Beschränkung ihrer Dispositionsfreiheit nicht hinreichend.

Nach § 10a EU Abs. 8 VOB/A 2019 liegt die Bestimmung einer angemessenen Bindefrist im pflichtgemäßen Ermessen des Auftraggebers. Dabei ist zu beachten, dass die Bindefrist so kurz wie möglich und nicht länger bemessen werden soll, als der Auftraggeber für eine zügige Prüfung der Angebote benötigt. Die Bindefrist beträgt regelmäßig 60 Kalendertage. Nur in begründeten Ausnahmefällen darf eine längere Frist festgelegt werden. Zwar können die besonderen Bedingungen der internen Willensbildung einer Gemeinde eine Verlängerung der Bindefrist im Einzelfall rechtfertigen. Doch auch in sehr großen Kommunen mit aufwändigen internen Abläufen zur Willensbildung dürfen so lange Bindefristen nicht zum Regelfall und – wie hier – deutlich oberhalb der Regelfrist festgelegt werden. Die Anforderungen an die Begründung der verlängerten Bindefrist steigen, je länger die Regelfrist überschritten wird. Hier reichte die knappe Begründung des Auftraggebers für die lange Bindefrist nicht aus, so die Vergabekammer.

Insbesondere in Zeiten mit kurzfristigen hohen Preisschwankungen und Fachkräftemangel sind die Interessen der Bieter bei der Festsetzung der Bindefrist besonders zu berücksichtigen. Anderenfalls bürdet ihnen der Auftraggeber ein ungewöhnliches Wagnis i.S.d. § 7 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2019 auf.