RechtsprechungVergaberecht

Scheinaufhebung verpflichtet ausnahmsweise zu Zuschlagserteilung (VK Westfalen, 20.03.2018, VK 1-37/17)

Hebt ein öffentlicher Auftraggeber ein Vergabeverfahren lediglich auf, um die formalen Voraussetzungen für eine Auftragsvergabe außerhalb des eingeleiteten Vergabeverfahrens an einen bestimmten Bieter zu schaffen, läuft das Vergabeverfahren weiter. Im Fall einer solchen „Scheinaufhebung“ haben Bieter einen Anspruch auf Fortführung des Vergabeverfahrens und unter Umständen sogar auf Zuschlagserteilung.

Vorliegend wehrte sich der für den Zuschlag vorgesehene Bieter gegen die Aufhebung eines Vergabeverfahrens über einen Stromliefervertrag und bekam vor der Vergabekammer Recht. Der öffentliche Auftraggeber hatte das Vergabeverfahren kurz vor Zuschlagserteilung mit zweifelhafter Begründung aufgehoben. Nachdem ein Ratsherr in der entscheidenden Ratssitzung auf ein angeblich günstigeres Angebot der Stadtwerke hinwies und eine Aufhebung des Vergabeverfahrens forderte, hielt die Stadtverwaltung dies noch für rechtlich unmöglich. Später hob der öffentliche Auftraggeber das Vergabeverfahren mit der Begründung auf, er hätte keinen Bedarf mehr an der Stromlieferung und wolle auf eigens produzierten Strom setzen. Übergangsweise wurden nun die Stadtwerke mit der Stromlieferung beauftragt – zu den Preisen der für den Zuschlag vorgesehen Bieterin. In der Vergabeakte wurden die Gründe für diese Vorgehensweise nicht dokumentiert.

All dies spricht nach Ansicht der Vergabekammer für eine Scheinaufhebung, deren Zweck einzig darin liege, den Stadtwerken den Auftrag zuzuschieben. Besonders verdächtig sei die fehlende Dokumentation des Meinungsumschwungs der Verwaltung: „In der Ratssitzung (…) war die Verwaltung noch anderer Meinung als die Ratsmitglieder. Aber wie gelangte die Verwaltung dann zu ihrer Auffassung, die sie im [Aufhebungs-]Schreiben (…) vertrat?“ Der öffentliche Auftraggeber konnte auch nicht darlegen, wie er innerhalb kürzester Zeit Photovoltaik-Anlagen installieren beziehungsweise ein Blockkraftwerk bauen will.

Deshalb verpflichtete die Vergabekammer den öffentlichen Auftraggeber, das Vergabeverfahren fortzuführen. Da über die Zuschlagsvergabe schon entschieden war, wird es daher zu einer – nach § 63 Abs. 1 S. 2 VgV ausnahmsweise möglichen – Zuschlagspflicht des öffentlichen Auftraggebers kommen.