Grundsätzlich muss ein Bieter einen Vergaberechtsverstoß gemäß § 107 Abs. 3 GWB rügen, bevor er einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer stellt. Der Grund: Dem Auftraggeber soll Gelegenheit gegeben werden, einen Rechtsverstoß zu beseitigen. Im Einzelfall kann die Rügeobliegenheit aber entfallen, wenn dem betroffenen Bieter eine Rüge nicht zuzumuten ist. So auch hier. Der Nachprüfungsantrag eines Bieters war zulässig, obwohl er den behaupteten Verstoß nicht zuvor rügte (OLG Düsseldorf, 05.11.2014, VII-Verg 20/14).
Rügeobliegenheit ist Frage des Einzelfalls
Was war geschehen?
In einem Vergabeverfahren versandte der Auftraggeber die Vorabinformationsschreiben am Abend des Gründonnerstag. Es folgten der Karfreitag, das Wochenende und der Ostermontag, bevor der betreffende Bieter am Dienstag darauf das Absageschreiben erhielt. Um rechtzeitig zugestellt zu werden, musste der Nachprüfungsantrag noch an dem folgenden Freitag bei der Vergabekammer eingehen. Somit verblieben dem Bieter nur etwas mehr als drei Tage für interne Besprechungen, die Einholung von Rechtsrat und die Entscheidung über ein Vorgehen gegen das Wertungsergebnis. In dieser Situation, so der Vergabesenat, kann dem Bieter nicht zugemutet werden, zusätzlich zu dem ohnehin aufwändigen und eilbedürftigen Verfahren noch eine Rüge gegenüber dem Auftraggeber auszusprechen und auf deren Beantwortung zu warten. Deshalb war der Nachprüfungsantrag zulässig, obwohl der Bieter den Verstoß nicht zuvor rügte.
Die Entscheidung bestätigt die Entwicklung in der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf. Nachdem der Vergabesenat in zahlreichen Entscheidungen die Anforderungen an die Erkennbarkeit von Vergaberechtsverstößen abschwächte, hält er eine Rüge in Eilfällen für insgesamt entbehrlich. Dies ist zumindest insoweit konsequent als es Auftraggeber selbst in der Hand haben, die Eilbedürftigkeit durch entsprechende Fristenläufe abzuschwächen. Schließlich muss die Vorabinformationsfrist bei Versand des § 101a-Schreibens per Fax oder E-Mail mindestens zehn Kalendertage betragen.
Allerdings ist es Auftraggebern nicht verwehrt, dieses Frist freiwillig zu verlängern, wenn – wie hier – Feiertage und Wochenenden die Vorabinformationsfrist faktisch verkürzen. Hierzu kann Auftraggebern nur geraten werden. Denn kurze Fristen setzen den betroffenen Bieter besonders unter Druck und können ihn zu einem Nachprüfungsverfahren drängen, das möglicherweise zu vermeiden gewesen wäre. Wegen des dann greifenden Zuschlagsverbots geht der Schuss der beabsichtigten zügigen Vergabe des Auftrags nach hinten los.