RechtsprechungVergaberecht

Fiktive Herabsetzung des Wertungspreises bei vorzugswürdigen Einrichtungen unzulässig (VK Westfalen, 19.08.2022, VK 2-29/22)

Ein öffentlicher Auftraggeber vergab in einem EU-weiten offenen Verfahren Landschaftsbauarbeiten im Zusammenhang mit der Erweiterung einer Schule. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. In den Vergabeunterlagen wies der Auftraggeber zusätzlich daraufhin, dass Einrichtungen, die Menschen mit Behinderung fördern vorzugswürdig sind. Hierfür wird bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Angebote der von den bevorzugten Bietern angebotene Preis mit einem Abschlag von 15 % berücksichtigt. Eine Bieterin teilte mit, dass sie ein Inklusionsbetrieb sei und das „LWL-Inklusionsamt Arbeit“ sie nach §§ 215 ff. SGB IX fördere. Das Angebot der Bieterin war geringfügig teurer als das Angebot eines anderen Bieters. Der Auftraggeber rechnete auf das Angebot der zunächst unterlegenen Bieterin einen Abschlag von 15 % auf die gesamten eigenen Lohnkosten an. Der neu zu wertende Angebotspreis führte dazu, dass die Bieterin nun auf Platz 1 landete. Daraufhin rügte der auf den zweiten Platz zurückgefallene Bieter, dass die fiktive Herabsetzung des Wertungspreises gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung gemäß § 97 Abs. 2 S. 1 GWB verstoße und das Vergabeverfahren zudem intransparent sei. Nach erfolgloser Rüge stellte der Bieter einen Nachprüfungsantrag.

Mit Erfolg! Die Vergabekammer Westfalen entschied, dass die Privilegierung der Bieterin gegen § 97 Abs. 2 GWB verstoße. Denn die fiktive Herabsetzung des Wertungspreises stelle eine Ungleichbehandlung dar, die weder ausdrücklich geboten noch gestattet sei. Insbesondere stellt der von dem Auftraggeber in Bezug genommene § 224 Abs. 1 SGB IX keine entsprechende Ausnahme im Anwendungsbereich des GWB dar. Vielmehr steht die Ausgestaltung der Zuschlagsprivilegierung gerade nicht im Ermessen des Auftraggebers, sondern ergibt sich aus einem Verweis auf die Maßgaben der allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Auf dieser Grundlage ist jedoch noch keine allgemeine Verwaltungsvorschrift erlassen worden. Es existiert lediglich ein Referentenentwurf und selbst dieser sehe eine solche Wertungsprivilegierung nur im Unterschwellenbereich vor. Auch die sog. Bevorzugtenrichtlinie und der „Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales, des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung und des Ministeriums der Finanzen vom 29. Dezember 2017 zur Berücksichtigung von Werkstätten für behinderte Menschen und von Inklusionsbetrieben bei der Vergabe öffentlicher Aufträge“ auf die sich der Auftraggeber bezog, sind hier nicht anwendbar, da diese nur für nationale Verfahren gelten. Im Bereich über den EU-Schwellenwerten existiert daher keine Rechtsgrundlage für eine solche Privilegierung, so die Vergabekammer.

Zudem entschied die Vergabekammer, dass der Bieter in seinem Anspruch auf ein transparent geführtes Vergabeverfahren nach § 97 Abs. 1 S. 1 GWB verletzt sei. Denn das Verfahren zum Vergleich der Angebote müsse für alle Bieter so aufgestellt sein, dass diese bei der Aufstellung ihrer Angebote über dieselben Chancen verfügen. Das bedeutet, dass alle potentiellen Bieter im Zeitpunkt der Vorbereitung ihrer Angebote die Kriterien, die der Auftraggeber bei der Zuschlagsentscheidung berücksichtigt und ihre Bedeutung im Rahmen der Wertung erkennen können müssen. Indem hier der Auftraggeber den Wertungsvorteil an den Preis eines privilegierten Bieters knüpfte, konnten nicht privilegierte Bieter die Höhe des Vorteils nicht erkennen. Denn in die Kalkulation eines Mitbewerbers haben die restlichen Bieter keinen Einblick. Die Ausgestaltung des Vergabeverfahrens war daher intransparent.