Der nationale Gesetzgeber darf Sanktionen für unvollständig eingereichte Angebote vorsehen, muss dabei allerdings auf die Verhältnismäßigkeit achten. Wenn ein Bieter hohe Strafen für fehlende Unterlagen zahlen muss, ist dies nicht mehr zulässig.
Der EuGH hatte über eine italienische Regelung zu entscheiden, wonach für fehlende Angebotsunterlagen eine Strafzahlung von maximal 50.000 Euro fällig wurde. Ein italienisches Verwaltungsgericht war der Ansicht, dass dies bei öffentlichen Auftraggebern den Anreiz für eine „Jagd auf Fehler“ schaffe und Bieter von einer Teilnahme am Vergabeverfahren abschrecke.
Der EuGH folgte dem im Ergebnis. Er erinnerte zunächst daran, dass öffentliche Auftraggeber die von ihnen selbst festgelegten Kriterien strikt einhalten müssen. Deshalb dürfen im Wege der Aufklärung zwar kleinere Unklarheiten beseitigt werden. Es dürfen aber keine gänzlich fehlenden Informationen nachgefordert werden, wenn deren Fehlen nach den Vergabeunterlagen zwingend zum Ausschluss führen sollte. Andernfalls könnte der betroffene Bieter faktisch ein neues Angebot abgeben.
Finanzielle Sanktionen für fehlende Unterlagen hält der EuGH zwar grundsätzlich für zulässig. Denn sie können die Bieter zu mehr Verantwortung bei der Vorlage ihrer Angebote anhalten und öffentliche Auftraggeber für ihren finanziellen Mehraufwand entschädigen. Sehr hohe finanzielle Strafen seien allerdings unverhältnismäßig. Dies gelte auch, wenn die Sanktionen automatisch und unabhängig von Art und Umfang der fehlenden Unterlagen greifen.
Der Sachverhalt betraf noch die alte Richtlinie 2004/18/EG, ist aber auf die aktuelle Rechtslage übertragbar. Denn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt auch unter der neuen Richtlinie 2014/24/EU und ist zudem in der neuen Fassung des § 97 Abs. 1 S. 2 GWB erstmals normiert.