GesetzgebungVergaberecht

Neue EU-Vergaberichtlinien: Die 10 wichtigsten Änderungen!

Am 15.01.2014 hat das EU-Parlament die neuen Richtlinien für das öffentliche Beschaffungswese angenommen. Verabschiedet wurden insgesamt drei neue Richtlinien, die die bisherigen EU-Vergaberichtlinien ersetzen:

  • die „klassische“ Vergaberichtlinie (bisher Richtlinie 2004/18/EG)
  • die Richtlinie für Sektorenvergaben und (bisher Richtlinie 2004/17/EG)
  • die Konzessionsrichtlinie (keine Vorgängerrichtlinie).

Mit der neuen Konzessionsrichtlinie werden sämtliche Bau- und Dienstleistungskonzessionen erfasst. Konzessionsverträge sind künftig, wie sonstige öffentliche Aufträge auch, auszuschreiben – allerdings erst ab einem Auftragswert von Euro 5.186.000.

Naturgemäß wird der neuen klassischen Vergaberichtlinie wieder die größte Bedeutung zukommen. Die zehn wichtigsten Neuerungen dieser Richtlinie kompakt im Überblick:

1. Gebot der Losvergabe – Artikel 46

Das Gebot der Losvergabe wird erstmals EU-weit geregelt.

Die Richtlinie unterscheidet in Artikel 46 zwischen zwei möglichen Wegen: Entweder gibt der Auftraggeber vor, dass Bieter nur für eine bestimmte Anzahl von Losen Angebote einreichen dürfen („Angebotslimitierung“). Oder aber die Bieter dürfen für eine unbegrenzte Anzahl von Losen Angebote einreichen, können jedoch nur für eine vorab festgelegte Höchstzahl von Angeboten den Zuschlag erhalten („Zuschlagslimitierung“). Dem Wortlaut nach stehen beide Alternative gleichberechtigt nebeneinander. Damit entspricht die Richtlinie im Wesentlichen der bisherigen nationalen Rechtsprechung zu den Arten der losweisen Vergabe (vgl. Soudry, Vergabeblog vom 16.01.2013).

2. Neues Verfahren „Innovationspartnerschaft“ – Artikel 31

Mithilfe der Innovationspartnerschaft sollen Behörden die Möglichkeit haben, mit einer Ausschreibung ein bestimmtes Problem anzugehen, ohne möglichen Lösungen vorzugreifen, und so dem Auftraggeber und dem Bieter Spielraum für die Entwicklung gemeinsamer Initiativen lassen. Das Verfahren dürfte aber die Ausnahme bleiben.

Weitere Neuerung: Das Offene Verfahren und das Nichtoffene Verfahren stehen künftig gleichstufig nebeneinander. Einen Vorrang des Offenen Verfahrens, wie in § 101 Abs. 7 S. 1 GWB festschreibt, kennt die neue Richtlinie nicht mehr.

3. Neues Zuschlagskriterium des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ – Artikel 67

Durch das Kriterium des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ sollen Auftraggeber Qualitäts-, Umwelt- oder Sozialaspekte sowie die Innovation eines Angebots stärker berücksichtigen können, ohne den Preis außer Acht zu lassen. Die Mitgliedstaaten können außerdem vorsehen, dass Auftraggeber nicht den Preis oder die Kosten allein als einziges Zuschlagskriterium verwenden dürfen.

Außerdem stellt die neue Richtlinie eindeutig klar: Auftraggeber dürfen auch weiterhin als alleiniges Zuschlagskriterium den „niedrigsten Preis“ angeben.

4. Unterkostenangebote – Artikel 69

Die Regeln für den Umgang mit Angeboten, deren Preise ungewöhnlich niedrig sind, werden verschärft. Die Richtlinie regelt nun detailliert, welche Angaben Auftraggeber von Bietern verlangen können, wenn der Verdacht eines Unterkostenangebots im Raum steht. Kann der Bieter die Preise nicht überzeugend begründen, wird sein Angebot ausgeschlossen.

5. In-House-Geschäfte und Interkommunale Kooperationen – Artikel 12

Erstmals werden die Anforderungen an die Zulässigkeit von vergaberechtsbefreiten In-House-Geschäften und Interkommunalen Kooperationen gesetzlich geregelt. Die Regelungen enthalten auch bisher ungeklärte Fälle wie beispielsweise „horizontale“ In-House-Geschäfte zwischen Schwestergesellschaften und „Bottom-Up-Vergaben“ von der Tochtergesellschaft an die beherrschende Mutter. Außerdem wird die Grenze für den zulässigen Drittgeschäftsumfang von 10 % auf 20 % angehoben.

6. Vertragsänderungen – Artikel 72

Ebenfalls gesetzlich geregelt werden die Voraussetzungen, unter denen wesentliche Änderungen bereits ausgeschriebender und noch laufender Verträge zu einer Neuausschreibung führen.

7. E-Vergabe – Artikel 22

Die E-Vergabe wird verpflichtend. Innerhalb von 54 Monaten (24 Monate Umsetzungsfrist für die Richtlinien + 30 Monate) müssen öffentliche Auftraggeber e-Vergabeverfahren implementieren. Für Zentrale Beschaffungsstellen gelten kürzere Fristen. Die nähere Ausgestaltung regelt Anhang IV.

8. Unterscheidung zwischen Anhang I A und I B fällt weg – Art. 74 ff.

Die Unterscheidung zwischen prioritären (Anhang I A) und nicht-prioritären (Anhang I B) Dienstleistungen wird aufgegeben. Die ursprüngliche Begründung der EU-Kommission, die Anhang I B-Dienstleistungen seien nicht binnenmarktrelevant, wird von dieser nicht mehr vertreten. Allerdings wird es auch weiter Besonderheiten geben. Für die sogenannten „sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen“ gilt ein erhöhter Schwellenwert von Euro 750.000. Das Verfahren für Vergaben unterhalb des Schwellenwerts regeln die Mitgliedstaaten.

Eine Auflistung der erfassten Dienstleistungen enthält Anhang XIV der Richtlinie. Hierzu zählen etwa Gesundheits-, Sozial- und Bildungsdienstleistungen, ein großer Teil juristischer Beratungsleistungen sowie Postdienste.

9. Aufgabe der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien – Artikel 67

Die strikte Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien wird bei „persönlichen“ Dienstleistungen aufgegeben.
Wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann, dürfen die Organisation, die Qualifikation und die Erfahrung des einzusetzenden Personals künftig als Zuschlagskriterien berücksichtigt werden. Diese Neuerung hat der deutsche Gesetzgeber bereits mit der letzten Änderung der VgV umgesetzt.Die eignungsbezogenen Zuschlagskriterien sollen jedoch höchstens 25 % der gesamten Gewichtung ausmachen. Das bedeutet aber nicht, dass die übrigen 75 % der Wertung auf den Preis entfallen müssen. Sie dürfen lediglich keine weiteren eignungsbezogenen Zuschlagskriterien enthalten.
10. Vereinfachung und besserer Zugang für KMU

Schließlich legt der europäische Gesetzgeber auch bei dem neuen Richtlinienpaket Wert auf die Feststellung, dass das Vergaberecht durch die Reform vereinfacht und kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) der Zugang zu öffentlichen Aufträgen erleichtert werde. Ob dies mehr als ein frommer Wunsch ist, darf mit Blick auf frühere Reformen bezweifelt werden. So bringt es allein die allgemeine Vergaberichtlinie auf 598 Seiten, während ihre Vorgängerin, die Richtlinie 2004/18/EG, noch mit 127 Seiten auskam! Die Richtlinien werden also nicht etwa übersichtlicher, oder kürzer, sondern differenzierter und länger.

Wie geht es weiter?

Die Richtlinien werden 20 Tage nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten. Hiermit wird ca. Ende Februar 2014 gerechnet. Nach diesem Stichtag haben die Mitgliedstaaten 24 Monate Zeit, die Bestimmungen in nationales Recht umzusetzen. Ein straffer Zeitrahmen angesichts der erforderlichen Abstimmungsvorgänge und der zahlreichen Vorgaben des EU-Gesetzgebers. Für Bieter hat die Detailgenauigkeit der Richtlinie aber auch einen Vorteil: Wird sie nicht rechtzeitig umgesetzt, können sie sich gegebenenfalls auf eine unmittelbare Geltung einzelner sie begünstigender Regelungen berufen.

Lesen Sie hierzu auch den zweiteiligen Vergabeblog von Dr. Daniel Soudry, LL.M. vom 09.02.2014 und vom 16.02.2014.