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Nachprüfungsantrag vor Rüge zulässig (OLG Karlsruhe, 29.01.2021, 15 Verg 11/20)

Ein Nachprüfungsantrag ist unzulässig, wenn der Bieter den behaupteten Verstoß nicht zunächst gegenüber dem Auftraggeber gerügt hat. Das gilt aber nicht, wenn die Geltendmachung seiner Rechte gefährdet ist. Dann darf er zuerst den Nachprüfungsantrag stellen, wenn die Rüge kurz darauf folgt.

Der Auftraggeber schrieb einen Auftrag über Leistungen zur Digitalisierung der Ausbildung von  Fach- und Nachwuchskräften EU-weit aus. Nachdem er an die unterlegenen Bieter die Vorabinformationsschreiben versandte, reichte ein Bieter am letzten Tag vor Fristablauf einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer und erst eine halbe Stunde später eine Rüge beim Auftraggeber ein. Der Auftraggeber hält die Rügeerhebung nach Einreichen des Nachprüfungsantrags für unzulässig, denn § 160 Abs. 3 S. 1 GWB fordert, dass der Bieter einen erkannten Verstoß „vor Einreichen des Nachprüfungsantrags“ rügt.

Dem folgte der Vergabesenat nicht. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB verlange, dass ein Bieter die Rüge innerhalb von zehn Kalendertagen nach Erkennen des Verstoßes einreicht. Eine Wartefrist zwischen Rüge und Nachprüfungsantrag sieht das Gesetz aber nicht vor. Mit der Rüge soll der Auftraggeber zwar die Möglichkeit erhalten aufgezeigte Verstöße zu beseitigen kann, bevor der Bieter gerichtlich vorgeht. Dieser Zweck tritt aber dann zurück, wenn der Rechtsschutz des Bieters gefährdet ist.

So war es auch hier. Denn der Bieter erfuhr erst spät von dem Vergaberechtsverstoß, weshalb ihm die vollen zehn Tage für die Rüge nicht zur Verfügung standen. Würde man auch hier auf einer Rüge vor Einreichung des Nachprüfungsantrags bestehen, könnte der Bieter die Frist für die Rüge nicht bis zum Ende ausschöpfen. Schließlich spricht § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB von vollen Kalendertagen und nicht von Stunden oder Minuten, so der Vergabesenat. Nutzt der Bieter die vollen zehn Tage für die Rüge aus, läuft er hingegen Gefahr, die Zuschlagserteilung nicht mehr rechtzeitig verhindern zu können. Denn nicht die Rüge, sondern erst die Zustellung des Nachprüfungsantrags durch die Vergabekammer setzt das Vergabeverfahren aus.

Abhilfegedanke tritt zurück

Der Zweck, dem Auftraggeber eine Abhilfe zu ermöglichen, tritt bei diesem engen Zeitfenster zurück, denn eine Abhilfe ist in dieser Situation ohnehin nicht zu erwarten. Es macht dann aber keinen Unterschied, ob der Bieter eine halbe Stunde vor oder nach Einreichen der Rüge den Nachprüfungsantrag stellt. Schließlich, so der Vergabesenat weiter, kann der Auftraggeber der Rüge auch noch im Nachprüfungsverfahren abhelfen. Erledigt sich das Nachprüfungsverfahren hierdurch, können dem Bieter, wenn es billig erscheint, Kosten des Verfahrens auferlegt werden.